Prof. Dr. Günter Faltin – allseits bekannter Gründungsexperte, Ideengeber der Stiftung Entrepreneurship Berlin und Autor des Buchs „Kopf schlägt Kapital„* – gewährte uns einen Einblick in seine tägliche Arbeit.
Was kann er unseren gründungswilligen Lesern raten? Hier die Antworten:
Herr Prof. Dr. Faltin, so eben wurde noch vor dem Wirtschaftsgau gewarnt, „Gerade jetzt – gestärkt durch den Wirtschaftsaufschwung – kann Deutschland wieder zum Gründerland werden“ schreibt nun das BMWi angesichts der „Gründerwoche Deutschland“. Sind es Ihrer Ansicht nach gute Zeiten für den Sprung in die Selbständigkeit?
Wir werden getrieben von Veränderungen, die einfach mehr unternehmerische Initiativen brauchen. Wenn man sich den Klimawandel ansieht, die wachsende Rohstoffknappheit, die zunehmenden sozialen Probleme, die Folgen der Staatsverschuldung – so sind das Probleme, die meiner Meinung nach von Politik, Verbänden oder Kirchen allein nicht mehr zu lösen sind.
Weil die Probleme zu groß und zu komplex sind und sich zu schnell entwickeln. Daher brauchen wir mehr unternehmerisches Denken und Handeln.
Zu uns kommen immer wieder Menschen, die sich selbständig machen wollen mit dem Anliegen: „Das und das sind meine Kenntnisse, welche Geschäftsidee können Sie mir anbieten“. Sich Anregung zu holen ist immer gut, aber ist das nicht der falsche Ansatz?
Ein Gründer muss systematisch ein Feld suchen und sich Fragen stellen wie: Wo mache ich etwas besser? Wo erfülle ich etwas, worüber der Kunde begeistert ist? Was passt auch zu mir, damit ich glaubhaft bin?
Wir müssen bei Gründungen stärker von der Funktion her denken, nicht von den Konventionen. Aldi ist das beste Beispiel. Als alle anfingen, schönere Läden einzurichten, um die Kunden zu locken, haben die Aldi-Brüder das Gegenteil gemacht. Funktion statt Konvention.
Der Internettelefon-Anbieter Skype ist ein weiteres Beispiel. Die Gründer haben eine acht Jahre alte Software, Voice-over-Internet-Protocol, kombiniert mit ihren Erfahrungen in der Organisation großer Datenmengen und den Service viel benutzerfreundlicher gemacht. Knapp ein Jahr später war Skype die größte Telekomgesellschaft der Erde.
Ich bezeichne diese Vorgehensweisen als konzeptkreative Gründungen
Bei unseren Lesern ist Ihr Buch „Kopf schlägt Kapital“ sehr gefragt. Sie wollen den Menschen darin die Angst vor dem Gründen nehmen. Auch wir haben Gründungswillige mit wirklich tollen Ideen erlebt – welche sie eigentlich gerne umsetzen würden – die sich aber zugleich nicht zutrauen, als „Selbständiger“ zu arbeiten. Was würden Sie diesen raten?
Gründer von heute müssen sich stärker vernetzen, sich Sparringspartner suchen. Man braucht ein Gegenüber. Jemanden, der konstruktiv mitdenkt, um aus einem Einfall oder einer Anfangsidee ein wirklich tragfähiges Ideenkonzept zu erarbeiten. Heute ist die Qualität des Business Modells ein entscheidender Faktor für den Erfolg.
Sie sollten auch zur Arbeitsteilung bereit sein und vorhandene Komponenten nutzen. Ein normaler Gründer kann heute bei der Fülle an gesetzlichen Vorgaben und Regularien gar nicht alles allein bewältigen.
Hier sind wir wieder beim Konzept. Das muss so gut sein, dass er für bestimmte Aufgaben wie Verwaltung, Einkauf oder Versand professionelle Hilfe bezahlen kann.
Damit der Gründer den Kopf frei hat, am Konzept zu arbeiten, zu prüfen, ob es sich am Markt bewährt oder angepasst werden muss. Wenn er das nicht kann und gezwungen ist, alles allein zu machen, reibt er sich im Tagesgeschäft auf.
Sicherlich hat Professionalität seinen Preis. Aber wem Professionalität zu teuer ist, soll es mal mit Unprofessionalität probieren. Das wird noch teurer.
Querdenken, Kreativität und „über den Tellerrand schauen“ ist eines der zentralen Anliegen in Ihrem Werk. Kann man dies lernen?
Meinen Studenten sage ich: „Ihr habt die Chance, Euch das Gewinnlos einer Lotterie systematisch zu erarbeiten“.
Wenn ich bei einem skalierbaren Geschäftsmodell den Beweis erbringe, dass es funktioniert – oder wie es in der Fachterminologie heißt, den „proof of concept“ erbringe, habe ich in diesem Moment eine Unternehmensbewertung, die leicht schon bei 100.000 Euro liegt, bei einem Geschäftsmodell mit einem großen Marktpotenzial durchaus auch bei einer halben Million oder Million.
Die Frage ist: Wie komme ich zu einem solchen Konzept? Früher habe ich an dieser Stelle Kreativworkshops veranstaltet, heute gehe ich mit meinen Studenten systematisch alle Möglichkeiten durch, studiere das Feld genau, analysiere die vorherrschenden Bedingungen und Konventionen und kann so mit systematischer Arbeit ein aussichtsreiches Geschäftsmodell entwickeln
Selbst die beste Geschäftsidee ist kein Garant für dauerhaften Erfolg. Was raten Sie insbesondere jenen Gründern, die für die Umsetzung Ihrer Idee auch noch viel Eigenkapital aufnehmen müssen, und Angst vor möglichen persönlichen finanziellen Folgen haben?
Es gibt Bereiche, in denen man nach wie vor sehr viel Kapital benötigt, z.B. in der Medikamenten-Entwicklung. Aber es gibt auch viele Gründungsideen, bei denen Kapital nicht mehr der Engpass ist. Ich spreche über 5.000 bis 50.000 Euro Kapitalbedarf, und das lässt sich oft aus dem Freundes- und Bekanntenkreis heraus aufbringen.
Selbst in den USA werden 70 Prozent aller Gründungen durch Family & Friends finanziert.
Ein Startup zunächst neben dem Beruf aufzubauen, um die eigene Geschäftsidee auf ein tragbares Konzept hin zu testen. Kann das Ihrer Meinung nach funktionieren?
Es ist tatsächlich realistisch, Gründen wie eine Art Teilzeitbeschäftigung anzugehen. Gründen mit einem Sicherheitsnetz quasi. Die Festanstellung, den bisherigen Beruf erst dann aufgeben, wenn sich das eigene Ideenkonzept als tragfähig erweist. Den proof of concept abwarten. Eben nicht alles auf eine Karte setzen, sondern wohlüberlegt und auf gesicherter, solider Basis gründen.
Nicht in allen Bereichen fressen die Schnellen die Langsamen. Eher gewinnen die gut Vorbereiteten und mit professionellen Partnern Arbeitenden über die Aufgeregten, Alles-im-eigenen-Haus-Organisierenden, Überarbeiteten.
Ihr aktuelles „Mutmach“-Argument für all jene, die sich schon seit längerem mit dem Gedanken tragen, ein Unternehmen zu gründen?
Kick your brain and your ass will follow!
Wir bedanken uns sehr bei Herrn Prof. Dr. Faltin für das Interview.
Als jemand, der Hr. Dr. Faltin erst vor wenigen Monaten auf dem Entrepreneurship Summit in Berlin kennenlernen durfte, freue ich mich über dieses Interview.
Er ist nicht jemand, der aus dem Elfenbeinturm heraus etwas unters Volk streut, sondern selbst vorlebt, was er seinen Studenten ans Herz legt.
Seine Art, Dinge vorzutragen, ist mitreißend und erfrischend.
Jedem der sich mit dem Gedanken trägt, den Schritt in die Selbständigkeit zu gehen, kann ich dieses jährliche Event, den Entrepreneurship Summit, nur wärmstens empfehlen.