Fachbeitrag von Frederik Vollert – Mitgründer der Internationalisierungsstartups PhraseApp:
Die Geschichte von PhraseApp
Das Beispiel GitHub zeigt, dass man auch ohne VC die erste Umsatzmillion erreichen kann. GitHub war für meine Mitgründer und mich bei PhraseApp immer ein Vorbild: Programmierer lösen ein Problem für Programmierer und bauen damit ein erfolgreiches Unternehmen auf.
Uns stellte sich die Frage nach Venturekapital nicht. Wir wollten etwas eigenes aufbauen und zu allererst Unabhängigkeit erreichen.
Nun steigt die Ruhe nicht unbedingt mit der Höhe des persönlich eingesetzten Kapitals. Auch gibt es einige erfolgreiche Gründer, u.a. Oliver Samwer, die Geschwindigkeit als eines der Haupterfolgskriterien für ihre Gründungen nennen.
Unser eigenes Erfolgskriterium ist Effizienz.
Dies ist auch der Kern von Automatisierung und damit vielleicht der Kern der Informatik selbst. Insofern kann man sagen, dass uns die Wahl des Mittels leicht viel, da unser gesamtes Gründungsteam aus Entwicklern bestand.
In diesem Beitrag möchte ich unsere Erfahrungen und Methoden, die uns dabei geholfen haben ein erfolgreiches Softwarestartup aufzubauen, teilen:
- Eigene Ressourcen & Motivation
- Lean, MVP, Product-Market-Fit
- Der Weg ins Silicon Valley
- Bootstrapping bei PhraseApp
Eigene Ressourcen & Motivation
Auch wenn man sich mit dem Gedanken anfreunden kann, völliges Neuland zu betreten, so ist bestehendes Domänenwissen ein unersetzlicher Vorteil. So hatten wir vor dem Aufbau von PhraseApp Erfahrung mit der Internationalisierung von Software und deren Problemen gesammelt.
Schon im Gründungsteam sollte man berücksichtigen, dass man sich ergänzende Fähigkeiten und auch Persönlichkeiten im Team hat. Dies kann einem später viel Zeit beim Aufbau eines passenderen Teams sparen.
So waren wir, als technische Gründer, stets sehr produktfokussiert und haben erst mit der Zeit gelernt, uns auch mit Themen wie der Positionierung sowie dem Marketing intensiv zu beschäftigen.
Je mehr Themen man schon im Gründerteam qualifiziert lösen kann, desto weniger Zeit muss man in den Aufbau eines ergänzenden Teams stecken.
Der kategorische Imperativ “Finde einen technischen Co-Founder!” lässt sich mühelos auf “Finde einen Co-Founder mit Marketingerfahrung!” oder “Finde eine Co-Founder mit Hintergrund in deinem Zielmarkt!” erweitern.
Das schnelle Geld mit einem Startup zu erreichen ist gelinde gesagt unwahrscheinlich.
Die meisten Startups scheitern.
Dies geschieht aus einer Vielzahl an Gründen. Es ist oft ein langwieriger Prozess, bis das eigene Unternehmen funktioniert.
Daher lohnt es sich, ein Geschäftsfeld zu suchen, in dem man langfristig Motivation finden kann. Für mich ist die Arbeit mit internationalen Teams und erfolgreichen Startups jeden Tag von neuem ein Motivationsschub.
Lean, MVP, Product-Market-Fit
Die bestinvestierten 30 EUR eines Gründers sind aus meiner Sicht die für den Kauf des Buches “Disciplined Entrepreneurship” von Bill Aulet. In 24 Schritten führt er gerade technische Gründer in die Grundlagen der Bewertung und Entwicklung von Ideen mit potenziellen Kunden bis hin zur erfolgreichen Umsetzung ein.
Im Gegensatz zu Steve Blank schwafelt Aulet nicht und anders als Eric Ries wird er in seinem Buch konkret. Er führt anhand von Beispielrechnungen so plausibel durch notwendige Schritte vor der konkreten Prototypentwicklung, dass mittlerweile auch Acceleratoren, wie z.B. der German Accelerator in den USA, das Buch als didaktische Grundlage ihrer Arbeit verwenden.
“Get out of your building!” und die damit verbundene “Customer discovery” geht weiter als die pure Iteration von Prototypen und erweitert das MVP-Konzept um die Bereiche Positionierung und Markterreichbarkeit.
Das Ziel der Auseinandersetzung mit Markt, Marketingkanälen und Bedürfnissen möglicher Kunden ist die kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Hypothesen. Steve Blank beschreibt dies treffend mit seiner Weisheit: “Die meisten Pläne überleben den ersten Kontakt mit Kunden nicht!”
Vor diesem Hintergrund betrachten wir unser eigenes Geschäftsmodell als genauso veränderlich wie die Funktionalität unseres Produktes. Eine Möglichkeit den Kern des Geschäftsmodells zu visualisieren und zu strukturieren stellt die Business Model Canvas von Osterwalder dar.
Wir haben diese Methoden bei PhraseApp erfolgreich genutzt, um unser Geschäftsmodell kontinuierlich weiter zu entwickeln und unsere Organisation sowie unser Marketing zu verbessern.
Der Weg ins Silicon Valley
Ein glücklicher Umstand für PhraseApp war es, dass wir unser Kernprodukt sowie viele weitere Entwicklungen mit ersten Kunden zusammen entwickeln konnten. So konnten wir uns neben unserer persönlichen Erfahrung ständig an den Ansprüchen realer Kunden messen. Nach wenigen Monaten hatten wir Kunden außerhalb unserer initialen Entwicklungskunden.
Dennoch benötigten wir drei Jahre intensiver Entwicklungsarbeit und ständiger Optimierung unseres Produktes sowie unserer Kommunikation, bis wir ökonomisch von unserer selbst-entwickelten Software leben konnten. Bis dahin finanzierten wir uns mittels Dienstleistungen und aus unseren persönlichen Rücklagen.
Not macht erfinderisch: Statt Geld für Marketingagenturen auszugeben, versuchten wir unsere eigenen Strategien zu entwickeln. Wenn es die Möglichkeit gab, uns als Firma oder das Produkt in einem öffentlichen Rahmen zu präsentieren, nutzten wir diese. Nicht zuletzt durch sog. Founder-Sales, also den direkten Vertrieb unseres Produktes durch uns als Gründer, konnten wir viele Kunden gewinnen.
Auch die Teilnahme am German Accelerator war für uns eine spontane Möglichkeit, auf die wir uns kurzfristig bewarben. Die Aufnahme in das Programm war ein Glücksfall für uns, da er uns die Tür öffnete, uns noch einmal intensiv mit den Grundlagen unseres Geschäfts kritisch auseinander zu setzen.
Außerdem ermöglichte uns der Aufenthalt im Silicon Valley einen direkten Austausch mit vielen potentiellen Kunden.
Die kulturellen Unterschiede und unterschiedlichen Geschäftspraktiken wurden uns dadurch stärker bewusst. Ich kann jedem Gründer nur raten, diese Erfahrung zu machen und an einem Acceleratorprogramm in den USA teilzunehmen.
Bootstrapping bei PhraseApp
Für uns bei PhraseApp hat Bootstrapping insbesondere deshalb funktioniert, weil unser gesamtes Team bereits viel Erfahrung in der Softwareentwicklung gesammelt hatte. Unsere Kosten waren dank konsequenter Beschränkung bis zum Zeitpunkt erster Einnahmen überschaubar.
Unser Existenzrisiko hielt sich in Grenzen, da wir zu jedem Zeitpunkt die Freiheit hatten, uns wieder dem Dienstleistungsgeschäft zu widmen. Dies stellte jedoch oft in sich ein Dilemma dar. Gründen ist hart, zeitintensiv und erfordert vor allem Fokussierung.
Wenn man neben dem eigentlichen Aufbau eines Produktes ein vollkommen anderes Geschäft betreibt, kann dieser Fokus verloren gehen. Gleiches gilt für ein Team, das hin- und hergerissen wird zwischen der fremdbestimmten Auftragswelt eines Dienstleistungsgeschäfts und einem missionsgetriebenen, eigenständigen Startup.
Erst aus dem persönlichen Kapital heraus zu operieren und sich dann mittels Dienstleistungen gegenzufinanzieren bot uns die Möglichkeit, in Ruhe und ohne externen Druck zu lernen und gleichzeitig finanziell unabhängig zu bleiben. Die Frage, was mit externem Kapital zu diesem Zeitpunkt erreichbar gewesen wäre, ist hypothetisch.
Ich bezweifle im Hinblick auf das, was wir mit der Gründung erreichen wollten, dass ich mit einer anderen Finanzierung des Startups glücklicher geworden wäre. Die Unabhängigkeit, die wir nun mit unserem Startup erreicht haben, war und ist unser Antrieb bei der Gründung.
Autorenprofil:
Frederik Vollert ist Mitgründer des erfolgreichen Internationalisierungsstartups PhraseApp.
Das Unternehmen hilft mittlerweile über 500 international agierenden Startups, ihre Produkte effizienter in neue Sprachen zu übersetzen.
PhraseApp hat erfolgreich am German Accelerator Programm im Silicon Valley teilgenommen und mittlerweile auch viele US-amerikanische Kunden.
Weitere Informationen zum Autor findest Du unter: https://phrase.com/de/